Samstag, 22. Oktober 2011

Vertagte Entscheidungen

Es gibt dieser Tage nun wahrlich genügend Entscheidungen, die keinen Aufschub vertragen. Dennoch herrscht Uneinigkeit zwischen Deutschland und Frankreich hinsichtlich eines etwaigen Staatsbankrotts von Griechenland, während es unsere nationalen Polit-Granden nicht mal mehr schaffen, sich auf kleinteilige Steuerentlastungen zu verständigen. Wann wird Merkel mit ihrer Arbeit beginnen?

Eigentlich sind solche Wochen ja ein gefundenes Fressen für Beobachter des politischen Systems. Aufgeregt wird durcheinander geredet, die Nachrichtenlage ändert sich ebenso stündlich wie die Position unserer Regierung. Nur bei einer Sache scheint die Regierung Merkel sich sicher zu sein: keine Banklizenz für die EFSF.

Ganz ohne Ironie kann man hier von einem guten und richtigen Schritt der Bundesregierung sprechen. Immerhin würde das Rettungsmonster EFSF mit einer derartigen Banklizenz in die Lage versetzt, direkt von der Europäischen Zentralbank (EZB) Geld zu beziehen, nicht als Ausnahme, sondern auf institutionalisiertem Wege. Die auf politische Unabhängigkeit getrimmten Zentralbanker fürchten um eben diese, wenn die EFSF mit einer Banklizenz ausgestattet werden würde. Die Aufgabe der EZB ist es nicht, für Kreditexesse privater Banken und maroder Staaten geradezustehen. Ihre einzige Aufgabe besteht darin, Preisstabilität im Euro-Raum zu gewährleisten. Angesichts der für europäische Verhältnisse galoppierenden Inflationsraten scheinen die werten Herren schon mit dieser Aufgabe überfordert, warum ihnen also noch mehr aufbürden?

Aus Sicht des französischen Präsidenten ist es wohl einer der letzten Strohhalme, um die Abstufung der Kreditwürdigkeit seines Landes zu verhindern. Sarkozy will nicht an die eigene Schatulle und seine Großbanken retten, was auch daran liegt, dass sich in der eigenen Schatulle nicht viel mehr befindet als ein einsamer Knopf. Die von vielen Menschen befürchtete Situation, in der lediglich Deutschland und ein paar kleinere Länder mit Top-Bonität für die gesamte Euro-Zone bürgen müssen, wird nun zur Realität.

So wird aus dem morgigen EU-Gipfel, der einmal als Befreiungsschlag anberaumt wurde, ein Klassentreffen der Sitzenbleiber. Keine greifbaren Entscheidungen, keine endgültige Griechen-Rettung, die deutsche Regierung fährt weiter auf Sicht. Dabei wäre es mittlerweile vergleichsweise leicht, Griechenland in die Insolvenz zu schicken. Die verteufelten Finanzmärkte rechnen ohnehin mit einem derartigen Schritt, vom eigenen Wahlvolk ist in diesem Zusammenhang gar nicht erst zu sprechen. Stattdessen wird die schlechteste aller Alternativen gewählt und einfach nichts getan, frei nach dem Motto: Wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt.

Der gestrige Koalitionsgipfel, der gefühlt 17. Neustart der schwarz-gelben Regierung, fügte sich in das Bild der Uneinigkeit ein. Nach mehr als fünf Stunden gab es keine Einigung, wortlos fuhren die Parteioberen in der Nacht vom Kanzleramt ab und ließen die Medienschar im Dunkeln.
Politiker geben normalerweise gerne Stellungnahmen am späten Abend ab. Abgekämpft, bis zur letzten Minute gefeilscht, um die eigenen Interessen und die der Wählerschaft durchzusetzen, das alles macht sich einfach gut vorm Publikum. Als Art Kontra-Indikator kann somit der Umstand gelten, wenn sich Politiker wortlos in ihre Dienstwagen setzen und ein dünnes "das entscheiden wir wann anders" zum besten geben. Der Aufschub wichtiger Entscheidungen wird immer mehr zur favorisierten Option für unsere Regierung. Der Groll bei den Liberalen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als endlich ein Mal liefern zu können und die steuerliche Entlastung durchzuboxen, dürfte entsprechend groß sein. Dieses Mal wurden sie jedoch nicht von der Mutti ausgebootet, sondern vom sozialdemokratischen Onkel aus Bayern. Horst Seehofer (CSU) fühlte sich übergangen, da spielte es auch keine Rolle, ob die geplante Herabsetzung der sogenannten kalten Progression gerecht ist oder nicht. Um im Familienbild zu bleiben: Seehofer hat schlicht sein Veto gegen die geplante Taschengeld-Erhöhung für die liberalen Pfadfinder eingelegt und somit erneut die Frage aufgeworfen, ob unsere Regierung handlungsfähig ist oder nicht.

Zurück zur europäischen Ebene: Da wir ja um die Vorliebe Merkels wissen, kurz vor knapp doch noch umzufallen und Sarkozy die Wünsche von den Augen abzulesen, ist das Durchhalten der deutschen Linie hinsichtlich der EFSF-Bankenlizenz fast schon ein Erfolg. Wie nachhaltig dieser ist, werden die kommenden Gipfeltreffen zeigen. Ich persönlich warte ja schon auf den Tag, an dem uns mitgeteilt wird, dass nun ein Arbeitskreis (neudeutsch: Task Force) gebildet wird, um die Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich auszuräumen. Einer alten politische Binsenweisheit folgend kann man so nämlich abermals ein paar Tage, im Idealfall gar Wochen herausschinden und sich um ebenso schmerzhafte wie notwendige Entscheidungen drücken. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis...

Währenddessen wird auf den Aktienmärkten ein Kursfeuerwerk abgefackelt, durch nichts angetrieben als durch Hoffnung. Man sagt ja immer, die Aktienmärkte würden die Zukunft vorweg nehmen. In diesem Sinne dürften die kommenden Tage auch für die breiten Bevölkerungsschichten hoffnungsgeschwängert sein. Während die Aktienmärkte jedoch von einer für sie positiven Entscheidung träumen, hoffen die Völker Europas wohl eher darauf, dass überhaupt entschieden wird. Die Hoffnung stirbt ja schließlich auch zuletzt...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen