Freitag, 14. September 2012

Das ESM-Urteil - Ein Scheinerfolg für den Parlamentarismus

Karlsruhe hat sich also nicht getraut, jedenfalls nicht so richtig. Immerhin wurde das Haftungsrisiko von Voßkuhle und Co. begrenzt, könnte man einwenden. Der Bundestag soll es richten und obschon dieser im institutionellen Gefüge des politischen Systems in Deutschland eine exponierte Stellung einnimmt, kann er nur so gut oder schlecht sein wie die Leute, die in ihm wirken. Und hier beginnen die Probleme.

In Zeiten eines ganz offen praktizierten Fraktionszwangs und einer Regierungschefin, die offensichtlich die Zeit zurückdrehen und unter dem demokratischen Gewand eine absolutistische Herrschaftsform einführen möchte, ist der Richterspruch aus Karlsruhe das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht. An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass die Karlsruher Richter für diesen Umstand nicht wirklich etwas können, allenfalls das Verschließen der eigenen Augen hinsichtlich der politischen Realität ist ihnen vorzuwerfen.

Wenn die Richter darauf pochen, den Bundestag an der Euro-Rettung vollumfänglich zu beteiligen, dann ist das ja zunächst einmal eine gute Sache. Schließlich ist es immer besser, wenn die Legislative über den Haushalt entscheidet und nicht die Exekutive, namentlich unsere Regierung um Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Vor dem Hintergrund, was für Leute in unserem Parlament und insbesondere in den Regierungsfraktionen sitzen, wird jedoch ersichtlich, dass der bloße Hinweis auf die Etat-Kompetenz des Bundestages und deren Durchsetzung nicht wirklich ausreicht, um sich aus der Affäre zu ziehen. Allein der Umgang mit den "EUro-Skeptikern" in der Unions- und FDP-Fraktion gibt einen wichtigen Hinweis darauf, dass im Hohen Hause Deutschlands mehrheitlich Menschen sitzen, die eine krude und undemokratische Ideologie vertreten.

Ruft man sich dann noch in Erinnerung, wie viele von unseren Repräsentanten den ESM- und Fiskalvertrag durchgewinkt haben, ohne ihn überhaupt gelesen geschweige denn verstanden zu haben, zeichnet sich das Bild der willfährigen Wackeldackel fast schon von selbst. Mit all dem will Karlsruhe aus guten Gründen nichts zu tun haben. Dennoch steht das Verfassungsgericht zwangsläufig in eben jenem Spannungsfeld zwischen der demokratischen Notwendigkeit eines wehrhaften Parlaments und dem Wunsch der Finanzmärkte, die liquiditätsgetriebene Hausse nicht zu beenden. Immerhin war es an Karlsruhe, dem bunten Treiben in London, New York und Frankfurt den sprichwörtlichen Stecker zu ziehen, wenn es sich schon nicht die jeweiligen Parlamente getrauen. Es hat fast den Anschein, als ob sich das Gericht um Präsident Andreas Voßkuhle nicht über Gebühr die Finger schmutzig machen wollte, vielleicht wollte es sich selbige aber auch nur nicht verbrennen.

Wie dem auch sei, im Bundestag jedenfalls sind die alten Mechanismen, so zum Beispiel das Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition, zumindest in europapolitischen Fragen außer Kraft gesetzt worden. Merkel muss keine Mehrheiten mehr organisieren, es reicht, wenn sie den einstigen Kriegstreibern von SPD und Grünen einen µ Honig um die viel zu schmalen Lippen schmiert. Diese vergessen ob des süßlichen Schocks ihre Einwände und ihre hehren Prinzipien und Grundsätze, die sie immer so stolz vor sich hertragen. Garniert wird das Ganze dann noch mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit zur europäischen Einigung, darauf, dass es zu einem vereinten Europa keine Alternative gäbe. Und das Schlimmste ist: Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung glaubt diesen Unsinn auch noch. Die Menschen glauben den Politikern. Wir können gerade in vielen afrikanischen Staaten sehen, wohin blinder Glaube führen kann, wenn an seiner Stelle eigentlich Wissen und Aufklärung stehen sollte. Ich für meinen Teil weiß, dass ein harmonisiertes, auf Konsens zwischen den Nationalstaaten ausgerichtetes und demokratisch legitimiertes Europa weitaus besser funktionieren würde als das heutige. Auch wenn wir den letzten Punkt in Europa noch nie hatten, was an sich schon traurig genug ist.

Auch wenn dies oben anders geklungen haben mag, will dieser Text nicht bloße Politikerschelte betreiben. Es gibt sie noch, die Kümmerer, bloß kennt man diese weder mit Namen noch hat man ein Bild von ihnen vor Augen. Diese Politiker sind, wenn schon nicht in der krassen Minderheit, dann immerhin nicht an den Schalthebeln der Macht. Dort sitzen die feigen Gestalten, die, angeführt von einer Kanzler-Schauspielerin, alles im Sinne haben außer den Belangen des eigenen Volkes. Ihre Feigheit besteht darin, dass sie dies nicht offen zugeben. Dass es in der Politik eine Negativauslese gibt, ist immer noch nicht bei jedem angekommen. Ruchlos und auf den eigenen Vorteil bedacht, möglicherweise gar fremde Pläne exekutierend, gerieren sich die obersten Politiker unserer Republik. Dafür kann das Bundesverfassungsgericht weder un- noch mittelbar etwas. Ein Gericht kann und soll nicht die Aufgabe übernehmen, die dem Souverän ursprünglich zugedacht war. Wenn also überhaupt irgendjemand etwas für unser schlechtes Politpersonal kann, dann sind es wohl wir selbst. Wir sind es aber auch, die dieses Personal auswechseln können. Insofern sollten die gefühlten 87 Prozent, die ihr Dasein in einem wachkomatösen Zustand fristen, schleunigst ihre Köpfe aus den Hintern ziehen, ehe sie in einem Europa erwachen, das vielleicht vereint, ganz sicher aber nicht demokratisiert und parlamentarisiert ist.

Dienstag, 11. September 2012

Trau dich, Karlsruhe!

Der Tag der Entscheidung ist nah. Am morgigen Mittwoch wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil bezüglich des dauerhaften europäischen Rettungsschirms ESM sprechen und die Chancen dafür, dass Karlsruhe dieses undemokratische Machwerk Brüsseler Büro- und Technokraten zu Fall bringt, stehen alles andere als schlecht, auch wenn die Hauptstrommedien etwas anderes suggerieren.

Immer wieder hörte man dieser Tage von einer "Ja, aber-Entscheidung", die Karlsruhe "sehr wahrscheinlich" fällen werde. Dabei schimmert allerdings durch, dass die Hoffnung dieses Gedankens Vater ist, die Hoffnung darauf, dass uns nicht der Euro und mit ihm die EU um die Ohren fliegt. Für die Karlsruher Richter in ihren scharlachroten Roben spielen derartige Überlegungen selbstredend auch eine Rolle. Verfassungsrechtliche Überlegungen dürften bei der Urteilsfindung in Karlsruhe allerdings weitaus wichtiger sein. So vehement wie aller Orten verneint wird, dass das Verfassungsgericht den ESM tatsächlich komplett verhindern wird, so selten findet sich auch die Meinung in den Zeitungen wieder, dass Karlsruhe hinsichtlich des ESM gar keine Bauchschmerzen hätte und der offensichtlichen Schaffung eines seltsamen Gebildes namens Vereinigte Staaten von Europa zustimmen werde.

Eilig schwadronieren unsere werten Damen und Herren Volksvertreter von der Wichtigkeit Europas für Deutschland, für den Export und für unser Gewicht in der Welt von morgen. Sie merken dabei gar nicht, dass die deutsche Realität sie längst überholt hat, dass die Menschen die Nase gestrichen voll davon haben, für sinn- und nutzlose Bankenrettungen - nichts anderes waren und sind die bisherigen "Rettungsschirme" - ihr Portemonnaie zu öffnen. Ein stetig größer werdender Teil der hiesigen Bevölkerung versteht mittlerweile zudem, dass es nicht die "faulen Griechen" sind, die die Schuld an der noch immer fortdauernden Krise tragen, auch wenn sich das noch nicht bis zum letzten Bierzelttisch herumgesprochen hat.

Und das Verfassungsgericht und mit ihm sein Präsident Andreas Voßkuhle? Allen Beteiligten dürfte die Tragweite ihrer Entscheidung bekannt sein: Stimmen sie dem ESM weitestgehend zu, so verspielen die Richter leichtfertig ihre zu Recht hohe Reputation im Volk und lassen Europa und damit auch die Bundesrepublik Brüsseler Exekutivmächten anheimfallen. Lehnen sie ihn rundheraus ab, steht Deutschland zum dritten Mal binnen nicht einmal 100 Jahren als Zerstörer Europas da.

Ich für meinen Teil sehe nur eine halbwegs elegante Möglichkeit für Voßkuhle und Co.: eine "Nein, aber-Entscheidung". Wenn die Richter ihre bisherigen Urteilssprüche bezüglich der fortschreitenden Integration Europas, also der sukzessiven Aushöhlung der nationalstaatlich verfassten Demokratien in Europa, ernst nehmen würden, bliebe ihnen gar nichts anderes übrig, als hier eine rote Linie zu ziehen. Von denen spricht Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ja auch immer wieder, scheint aber stets seinen roten Stift vergessen zu haben.

Diese rote Linie muss aber nicht zwangsläufig darin gipfeln, den ESM und den Fiskalpakt in Gänze abzulehnen. Karlsruhe würde sich damit doch auf eine Stufe mit unseren gewählten Repräsentanten begeben, die paternalistisch wie eh und je denken, sie würden über dem Souverän stehen und nicht etwa von ihm abhängen. Die Richter könnten aber sagen, dass eine Ratifizierung dieser Gesetze mit unserer Verfassung nicht vereinbar ist und deshalb vorerst nicht vollzogen werden kann. Um diese Gesetze zu ratifizieren, benötige es einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung, könnte Gerichtspräsident Voßkuhle morgen Vormittag vor der versammelten Medienschar zum Besten geben. Solange diese nicht vollzogen ist, macht Deutschland nicht mit beim ESM. Dadurch würde das Bundesverfassungsgericht seiner vordringlichen Aufgabe, das Grundgesetz zu schützen, gerecht werden, ohne den selben Fehler zu begehen, den die Politik bereits seit Jahrzehnten macht. Auch diese Ansicht ist natürlich einer Hoffnung geschuldet, anders als die der ewig quakenden und ideologisch verblendeten Pro-Europa-Politiker ist meine Hoffnung aber dem Wunsch nach einem Mehr an Demokratie geschuldet. Die Politik hatte lange genug die Möglichkeit, Europa zu demokratisieren, es wird Zeit, dass uns das Verfassungsgericht in die Lage versetzt, selbst über die zukünftige Form der EU entscheiden. Es muss sich nur trauen...

In eigener Sache: Vielen Dank an das Team der Zeitschrift Dorian Grey für die Zusendung eines Print-Exemplars. Sehr lesenswert und zu empfehlen.

Samstag, 30. Juni 2012

Voßkuhle, übernehmen Sie!

Wie zu erwarten war, hat der Bundestag am Freitag einer erneuten Teil-Entmachtung seiner selbst zugestimmt. Angesichts der nahenden Sommerpause stand den werten Damen und Herren Volksvertreter der Sinn wohl nicht unbedingt nach einer eingehenden Prüfung des ESM- und "Fiskalpakt"-Gesetzes. Dies wird nun das Bundesverfassungsgericht und der Präsident ebendieses, Andreas Voßkuhle, übernehmen müssen.

Eine Abstimmung nach Maß für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Über 490 Abgeordnete stimmten den Gesetzen, die Gegenstand Tausender Verfassungsklagen sind, zu, 414 wären zum Erreichen der Zweidrittel-Mehrheit notwendig gewesen. Da war es für Merkel auch zu verschmerzen, dass sie ihrer Regierungskoalition nicht die prestigeträchtige Kanzlermehrheit abringen konnte. Ohnehin kennt Frau Merkel dies ja bereits aus vorherigen Abstimmungen. Während der stundenlangen Debatte im Plenum und den am Rande geführten Interviews verdichtete sich jedenfalls der Eindruck, dass es den Parlamentariern wahrlich nicht leicht fiel, den Gesetzen zuzustimmen. Längst überwunden geglaubte Worthülsen machten die Runde, unter anderem von Alternativlosigkeit war seitens der SPD die Rede.

Immer wieder verwiesen die ESM-Befürworter von CDUCSUFDPSPDGrüne auch darauf, dass bei etwaigen künftigen Ausweitungen des ESM der Bundestag "beteiligt" werden würde. Dies stünde im Gesetz. Selbstredend steht es nicht im - völkerrechtlich gesehen - eigentlich entscheidenden Gesetz, sondern in einem Begleitgesetz. Es ist also, wenn die Regierung und insbesondere der deutsche Vertreter im ESM-Gouverneursrat es darauf anlegten, prinzipiell egal, ob und was der Bundestag entscheidet: Bindend ist lediglich das Wort des deutschen ESM-Gouverneurs, momentan wäre das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Die ESM-Gouverneure genießen bezüglich ihrer Entscheidungen in diesem Gremium übrigens Immunität.

In den vielen vielen Klageschriften, die von heute an Karlsruhe erreichen, gibt es noch zahlreiche weitere Punkte, die eine wohlwollende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts  unwahrscheinlich erscheinen lassen. Andererseits dürfte der politische Druck auf die Richter um Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle enorm sein, könnten sie mit ihrer möglicherweise "negativen" Entscheidung für Europa doch die jahrelangen und zähen Bemühungen der Politiker zur "Krisen-Bekämpfung" zunichte machen. Karlsruhe indes darf sich um die Befindlichkeiten unserer Repräsentanten nicht scheren, das Gericht hat mit der Beantwortung der Frage, ob die Grenzen unseres Grundgesetzes durch den ESM und den Fiskalpakt bereits berührt oder überschritten wurden, bereits genug zu tun.

Ob sich Voßkuhle und Co. jedoch so ganz frei machen können von diesem Druck, muss stark bezweifelt werden. Und dennoch avanciert das Karlsruher Gericht wieder einmal zum wichtigsten Organ unserer Verfassung: Dort wird sich entscheiden, ob die Ideen der europäischen Staats- und Regierungschefs mit unserer Verfassung vereinbar sind, paradoxerweise geschieht dies nicht in unserem Parlament. Vor dem Hintergrund, dass Merkel auf dem Krisengipfel immerhin die Eurobonds verzögern konnte, dafür aber direkten ESM-Zahlungen an spanische und italienische Geldhäuser abnicken und damit eine ihrer Kernforderungen räumen musste, erscheinen die Abstimmungen im willfährigen Bundestag und Bundesrat als demokratische Folklore. Die gewählten Parlamentarier verabschiedeten ein Gesetz, von dem sie wussten, dass es bereits wieder "veraltet", will meinen: gebrochen worden war. Völlig zu Recht sprechen Kritiker des ESM von einer Verballhornung des Gesetzgebungsprozesses, die für sich genommen bereits ausreicht, um dem höchstrichterlichen Urteil optimistisch entgegen zu blicken.

Nachdem sich der Bundestag in europäischen Fragen nun also erneut teilentmachtet hat und sich der geneigte Beobachter die Frage stellt, wie viele Teile es denn eigentlich noch gibt, die man an Brüssel abtreten könnte, wird deutlich, welche Verantwortung die Richter am Bundesverfassungsgericht mit ihrem Urteil zu Fiskalpakt und ESM übernehmen. Sie entscheiden schließlich darüber, ob das deutsche Volk in der urdemokratischsten Form über die europäische Idee und über die Brüsseler Auswüchse hinsichtlich Bürokratie und dem Fehlen der demokratischen Legitimation zu befinden hat oder nicht. Während sich die Politik darauf verlegt, kurzfristige Maßnahmen zur angeblichen Bekämpfung der Krise zu ergreifen, die bestenfalls als Verschlimmbesserung zu bezeichnen sind, sind die Karlsruher Richter dazu aufgerufen, darüber zu befinden, ab welchem Punkt die Bevölkerung gefragt werden muss und ob dieser Punkt bereits erreicht ist.

Mittwoch, 27. Juni 2012

Solange ich lebe. Merkels Vertrauensfrage

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihre politische Zukunft daran geknüpft, dass es keine Vergemeinschaftung von den Schulden Europas durch die sogenannten Eurobonds gibt. Im Werfen von Nebelkerzen war unsere Regierungschefin schon immer gut, neu ist aber, dass sie ihre eigene Zukunft an ihre Forderungen knüpft.

Martialisch mutete Merkel gestern an: Solange sie lebe, werde es keine Eurobonds geben, sagte die CDU-Chefin bei ihren liberalen Koalitionspartnern. Nun trägt eine derartige Aussage in sich bereits etwas absolutistisches, fast so, als sehe Merkel sich selbst als eine Art Königin, ihrer Parteizugehörigkeit nach könnte sie die Kanzlerschaft gar mit einer Kaiserinnen-Herrschaft verwechselt haben.

Und doch lenkt Merkel mit ihrer Aussage bezüglich der Eurobonds nur von den anstehenden Abstimmungen in Bundestag und Bundesrat über den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM, der für alle Zeit Gültigkeit hat und folglich nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, und den Fiskalpakt ab. Sie geriert sich als Kämpferin für deutsche Interessen in Europa, als Bewahrerin des deutschen Steuersäckels, während sie die politische Grundstruktur Deutschlands, nach der der Bundestag darüber zu befinden hat, wie viel Geld wo hin fließt, aufzulösen versucht und damit das geltende Grundgesetz in letzter Konsequenz abzuschaffen gedenkt.

Nun steht morgen also der EU-Gipfel an. Von allen Seiten kriegt die Regierung um Merkel zu hören, dass nun ein großer Wurf vonnöten sei, um Europa zu retten. In ihrer heutigen Regierungserklärung erteilte Merkel einem großen Wurf - wie in der Vergangenheit auch - eine klare Absage. Sie steht weiterhin für eine Politik der kleinen Schritte, während die Welt die Stirn in Falten legt und sich über das Gebaren der Pfarrerstochter aus Hamburg wundert. Sie wird zurückkehren und verkünden, dass sie die Vergemeinschaftung von Schulden verhindert habe und erklären, weshalb sie im Gegenzug allen anderen Punkten des Brüsseler Wunschzettels zustimmen musste.

Es geht hintergründig aber nicht um eine etwaige Schuldenvergemeinschaftung, sondern um die fortwährende Aushöhlung des deutschen Parlaments. Das Merkelsche Machtwort bezüglich der Eurobonds geht insofern am Thema vorbei, als es eine Absage ist, die selbstverständlich sein sollte. Zumindest wenn man die derzeit geltenden europäischen Verträge für bare Münze nimmt und das Grundgesetz achtet. Letzteres wird in Karlsruhe überprüft werden und ich wiederhole mich an dieser Stelle sehr gerne: Der ESM ist mit unserer Verfassung nicht zu machen.

Donnerstag, 21. Juni 2012

Karlsruhe verzögert ESM

Das Bundesverfassungsgericht bittet Bundespräsident Joachim Gauck um Aufschub und torpediert somit die Pläne der europäischen Staats- und Regierungschefs, den undemokratischen dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM zum 1. Juli zu installieren.

Erst gestern hatte ich geschrieben, dass Karlsruhe den ESM aus verfassungsrechtlicher Sicht eigentlich nicht passieren lassen dürfte, heute nun kam es zu einem ersten Etappensieg für diejenigen, die Staatsorgane wie den Bundestag für wichtig erachten.

Das Bundesverfassungsgericht bittet unseren Bundesgrüßaugust Gauck darum, dass Gesetz zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) nicht zu unterschreiben. Die Verfassungsrichter um Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle ziehen damit vorerst die Reißleine und fahren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Parade. Diese benötigt die ESM-Milliarden, um den in Brand stehenden spanischen Bankensektor und den nahenden Bailout für Italien zu finanzieren. Wie eine Sprecherin des Verfassungsgerichts erklärte, gehe selbiges davon aus, "dass der Bundespräsident wie in der Vergangenheit auch dieser Bitte nachkommen wird und das Gericht so genügend Zeit zur Prüfung hat".

Noch gibt es kein ESM-Gesetz, welches vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden wäre, die Abstimmung wird für nächsten Freitag (29. Juni) erwartet. Es wäre also ohnehin äußerst knapp geworden, den ESM bis zum 1. Juli in Kraft zu setzen, auch vor dem Hintergrund, dass dieser längst nicht in allen Euro-Staaten ratifiziert worden ist. Der europäische Stabilitätsanker Deutschland droht nun mit schlechtem Beispiel voranzugehen.

Wenn Bundestag und Bundesrat Ende Juni den ESM verabschieden sollten, würde dieser dennoch nicht sofort in Kraft treten, da jedes Gesetz vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden muss. Dabei muss er penibel darauf achten, dass das zu unterschreibende Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Insofern ist die Bitte aus Karlsruhe, die eigentlich eine Aufforderung ist, ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Bundesregierung.

Gerichtspräsident Voßkuhle hatte vor einigen Monaten in einem seiner seltenen Interviews bereits angedeutet, dass die europäische Integration bereits an den Grenzen des Grundgesetzes kratzt, weitere Kompetenzübertragungen nach Brüssel sind folglich kaum möglich. Die zu erwartenden Klagen gegen den ESM - unter anderem die Linken wollen mit Eilanträgen vor dem Gericht versuchen, den ESM zu stoppen - ließen die Richter in Karlsruhe anscheinend aufhorchen und trugen wesentlich zu der Entscheidung bei, den Bundespräsidenten darum zu bitten, das Gesetz vorerst nicht zu unterschreiben.

Natürlich ist die Gefahr, die vom ESM für den bundesdeutschen Parlamentarismus ausgeht, mit der Bitte um Aufschub nicht gebannt, wohl aber verdichten sich damit die Anzeichen, dass Karlsruhe den ESM in seiner jetzigen Form für verfassungswidrig erklären könnte. Interessant wird nun zu sehen sein, was Bundespräsident Gauck macht. Denn immerhin könnte er, rein theoretisch, der Bitte des Verfassungsgerichts nicht nachkommen und das ESM-Gesetz "nach eingehender Prüfung" binnen Stunden unterschreiben und niemand könnte unser Staatsoberhaupt daran hindern. Andererseits würde er sich damit als jemand outen, dem verfassungsrechtliche Bedenken egal sind, was man von Gauck, trotz seiner jüngsten Auslassungen über Militäreinsätze, eigentlich nicht erwarten kann.

Update: Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, beugt sich Gauck der "Bitte" aus Karlsruhe und wird das Gesetz vorerst nicht unterschreiben.

Reloaded: ESM oder Demokratie?

Die knauserige US-Notenbank

Die gestrige Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hatte im Vorfeld Begehrlichkeiten bei den Investoren geweckt. Helikopter-Ben Bernanke würde die Geldschleusen öffnen, so die Hoffnung. Der Fed-Chef enttäuschte die Anleger jedoch, lächerliche 267 Milliarden US-Dollar will er für die Stützung der Wirtschaft bis zum Ende des Jahres aufwenden.

Die bereits seit September 2011 laufende "Operation Twist" wird von der Fed bis zum Ende des Jahres verlängert, teilte der Notenbank-Chef mit. Hinter dem Begriff verbirgt sich ein sogenannter Anleihentausch: Bernanke und seine Kumpanen werfen kurzfristige Anleihen, die meist nicht mehr als zwei bis fünf Jahre laufen, auf den Markt und können mit dem so vorhandenen Kapital langfristige US-Papiere kaufen, wodurch die Zinsen auf diese sinken, was wiederum gut für die Unternehmen und Verbraucher sein soll.

Die Märkte reagierten mit Ernüchterung, hatten doch nicht wenige Marktteilnehmer mit einer neuerlichen quantitativen Lockerung (QE3) gerechnet, also mit dem Ankauf von Staatsanleihen durch die Notenbank. Der monetäre Instrumentenkoffer in Übersee scheint weitestgehend leer zu sein, der Leitzins ist bereits auf historisch niedrige 0 bis 0,25 Prozent gesenkt worden, die Wirtschaft kommt dennoch nicht in die Gänge und US-Präsident Barack Obama muss ob der im November anstehenden Präsidentschaftswahl um seine zweite Amtszeit bangen. Wer wählt schon gerne einen Präsidenten, unter dessen Ägide der Arbeitsmarkt am Boden liegt?

Die gestrige Nicht-Entscheidung zeigt das Problem der Fed auf: Durch ein neues Anleihenkaufprogramm wäre die Inflation in den USA gestiegen. Zwar verweist die Fed lieber auf die sogenannte Kerninflationsrate, bei der die für die Bevölkerung nicht unerhebliche Geldentwertung bei der Energie sowie bei den Lebensmitteln gekonnt ausgeklammert wird, allerdings kann eine wie auch immer zurechtgebogene Inflationsrate die Menschen im Land der äußerst begrenzten Möglichkeiten nicht darüber hinweg täuschen, dass der Kühlschrank jeden Monat etwas leerer bleibt, obwohl man genauso viel verdient wie vor einem halben Jahr.

Wenn man sich vor Augen führt, dass Obama auf dem G-20-Gipfel im mexikanischen Nobel-Badeort Los Cabos mit dem Brustton der Überzeugung versucht hat, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weichzuklopfen und erneut Geldspritzen an die Junkies der Finanzplätze zu verteilen, ist die Entscheidung der Fed gelinde gesagt ein Armutszeugnis für die USA. Von den Europäern und insbesondere von Deutschland werden stets Maßnahmen zur "Stützung der Konjunktur und Weltwirtschaft" eingefordert, den eigenen Geldbeutel hält die USA aber schön geschlossen.

46,4 Millionen US-Bürger beziehen Lebensmittelmarken, die Arbeitslosigkeit ist für US-Verhältnisse auf äußerst hohe 8,2 Prozent angestiegen und dabei immer noch statistisch verzerrt. Dazu gesellt sich - und hier könnte der Grund für die knauserige Entscheidung der Fed liegen - ein Schuldenstand von 15,8 Billionen(!) US-Dollar. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt der USA macht dies offizielle 99% aus, wobei das BIP der USA auf ähnliche Weise aufgebläht ist wie der spanische Häusermarkt vor ein paar Jahren.

Das Portemonnaie der Fed kann zwar nie leer sein, dank der Rolle des US-Dollar als Weltreservewährung. Jedoch ist feszuhalten, dass es immer mehr aus Zwiebelleder zu bestehen scheint, denn auch wenn der Fed-Chef gestern nicht geweint hat, müsste ein Blick ins Staatssäckel Bernanke und Co. eigentlich die Tränen in die Augen treiben.

Mittwoch, 20. Juni 2012

ESM oder Demokratie?

Auf dem dauerhaften europäischen Rettungsschirm (ESM) ruhen die Hoffnungen der glühenden Europäer, die in ihrem Bestreben, den Euro zu retten und die EU nicht gegen die Wand zu fahren, zu vergessen scheinen, dass ein demokratisches Europa mit dem ESM schlechterdings nicht vorstellbar ist.

Es ist bereits viel zum ESM gesagt worden, über die Tatsache, dass er grundgesetzwidrig ist und darüber, wie undemokratisch, weil parlamentsaushöhlend er ist. Ich will an dieser Stelle die u.a. bei IK-News zusammengetragenen Punkte, die eben gesagtes untermauern, gar nicht wiederkäuen, sondern darstellen, weshalb selbst bei einer etwaigen Verabschiedung des ESM-Gesetzes im Bundestag dieser geplante "Stabilitätsmechanismus" nutzlos ist.

Sollte das Gesetz zum ESM, welchem durchaus Züge eines (Achtung, böses Wort!) Ermächtigungsgesetzes innewohnen, noch vor der Sommerpause von den Parlamentariern abgenickt werden, muss sich unsere Regierung um Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zunächst berechtigte Sorgen darüber machen, wie das Bundesverfassungsgericht den Umstand bewertet, dass der ESM-Gouverneursrat, in dem die Finanzminister der Länder sitzen, laut Artikel 9 des Vertrages genehmigtes, aber noch nicht eingezahltes Kapital "jederzeit abrufen" kann. Der ESM hat zunächst ein Volumen von 80 Milliarden Euro, die direkt eingezahlt werden und weiteren 620 Milliarden Euro. Dieses Volumen kann allerdings durch den Gouverneursrat, dessen Mitglieder Immunität genießen und folglich für ihre Entscheidungen nicht belangt werden können, beliebig erhöht werden. Dass dabei auf Deutschland die höchsten Lasten zukommen dürften, versteht sich von selbst.

Das Bundesverfassungsgericht als Hüter des Grundgesetzes hat sich in der jüngeren Vergangenheit stets dadurch hervorgetan, auf die Rechte des Bundestages hinsichtlich einer tiefergehenden "Integration Europas", womit die Kompetenzübertragung nach Brüssel stets euphemistisch verklausuliert wird, zu pochen und selbige zu stärken. In der Tradition seiner Entscheidungen dürfte es den ESM in seiner jetzigen Form nicht gutheißen, eben weil der Bundestag seiner Königsdisziplin, die Hoheit über den Bundeshaushalt zu haben, beraubt würde. Ein Parlament, das nicht über den Haushalt entscheidet, ist keins mehr, genauso wie sich ein Auto ohne Motor nur noch bedingt zur Fortbewegung eignet.

Da dieser Tage allerdings alles möglich scheint, muss man sich auch damit beschäftigen, was passiert, wenn Karlsruhe den ESM, mit welcher hanebüchenen Begründung auch immer, doch passieren lässt. Die Folge wäre wohl, dass mit den vielen Milliarden Spanien und Italien, mittelfristig aber auch Frankreich, gerettet werden müsste. Deutschland würde Zahlmeister Europas und könnte diese Rolle wohl auch für ein paar Monate ausfüllen. Allerdings würde der Tag X, an dem Deutschland seine Topbonität und damit seine Fähigkeit zur europäischen "Solidarität" verliert, unweigerlich näher rücken. Bereits heute schwindet das Vertrauen in Deutschland, weiterhin den Stabilitätsanker Europas zu mimen, massiv und große Fonds und Vermögensverwalter reduzieren ihr Engagement in deutsche Staatsanleihen. (siehe dazu Adieu, safe haven?)

Der ESM ist also insofern nutzlos, als er sich in die Riege der bisherigen Rettungsversuche einreiht, die die Lasten in die Zukunft und auf die noch solventen Länder Europas, neben Deutschland sind das die Niederlande, Finnland, Luxemburg und Österreich, verschieben. Das Undemokratische am ESM stellt zweifellos eine neue Qualität dar, jedoch muss hier festgehalten werden, dass die Europäische Union und ihre Vorgänger bei der Abwägung "Demokratie vs. Integration" stets letzterem den Vorzug gegeben haben. Es kann also eigentlich nicht wirklich überraschen, dass mit dem ESM nun erneut versucht wird, die Nationalstaaten, von denen das EU-Projekt eigentlich abhängt, in letzter Konsequenz obsolet werden zu lassen.

Unsere Bundeskanzlerin hatte ja ursprünglich geplant, den ESM bereits Ende des vergangenen Jahres durch den Bundestag zu bringen. Bereits im Februar wies ich auf die Möglichkeit hin, dass Merkel die Verabschiedung des ESM mit der Vertrauensfrage verknüpfen könnte, da die Widerstände gegen den ESM bei FDP und Union sehr groß sind. Die EU muss dennoch keine Angst vor einem deutschen Nein haben, die SPD und die Grünen stehen schließlich schon Spalier, um der eigenen Entmachtung zuzustimmen. Warum Merkel die ESM-Abstimmung auf den Sommer verlegt hat, in eine Zeit, in der die Nation gebannt auf die Spiele der Fußball-Nationalmannschaft blickt, bleibt der Fantasie der Leser überlassen...

Mittwoch, 13. Juni 2012

Adieu, safe haven?

Der Vermögensverwalter Pimco hat kaum mehr Bundesanleihen in seinen Depots. Dies liegt allerdings nicht an den negativen Realzinsen, die Bundesanleihen derzeit "bieten", sondern an ersten Zweifeln an der Rückzahlungsfähigkeit Deutschlands.

"Wir achten in erster Linie auf das Rückzahlungspotential und erst in zweiter Linie auf die Rendite", erklärte Andrew Bosomworth, Fondsmanager und Deutschland-Chef von Pimco, heute. Während das 100-Milliarden-Euro-Strohfeuer längst verpufft ist, gerät der "lender of last resort" Europas plötzlich selbst in erste Turbulenzen.

Nun könnte man ja denken, dass die Zinsen auf deutsche Anleihen derzeit ohnehin auf einem historisch niedrigen Niveau sind und es deshalb zu verschmerzen wäre, wenn die Zinsen auch auf Bundesanleihen moderat steigen. Das Problem ist der Grund für die momentan so niedrigen Zinsen, durch die sich Deutschland 50 Milliarden Euro Zinsdienst spart.

Die sind ja nicht deshalb so niedrig, weil Deutschland ein wirtschaftlich so prosperierendes Land ist, sondern weil auf der BRD die Hoffnung der anderen Staaten ruht, Europa monetär rauszupauken. Und diese Hoffnung ist auch nicht gänzlich unbegründet, angesichts der knapp 700 Milliarden Euro (!) umfassenden positiven Target2-Salden der Bundesbank. Blickt man auf die Zinsen, die die US-Anleihen derzeit bieten, erkennt man ziemlich gut, dass niedrige Zinsen nicht unbedingt etwas mit guten Wirtschaftsdaten zu haben müssen.

Natürlich spielt in die niedrigen Zinsen Deutschlands auch die Fluchtbewegung aus anderen europäischen Ländern hinein. Getreu dem Motto "Irgendwo muss das Geld schließlich angelegt werden" profitierte Deutschlands zuletzt von den Problemen der Euro-Krisenländer, zumindest was den Zinsdienst anbelangt. Dies dürfte sich durch die Erklärung von Pimco nun ändern.

Mit einer Prise Zynismus könnte man sagen, dass das Timing Pimcos besser nicht hätte sein können, wenige Tage vor der anstehenden Wahl in Griechenland. Sollte diese keine Regierung hervorbringen, die den Troika-Krisenkurs fortsetzt, dürfte es keine weiteren Zahlungen an Griechenland mehr geben, ein Euro-Austritt der Hellenen wäre wohl die Folge. Für diesen Fall warnte die Ratingagentur Fitch Mitte Mai, dass die Bewertung aller übrigen Euro-Staaten auf die Prüfliste für eine Herabstufung genommen werden würden. Ein solcher Schritt dürfte sich nicht unbedingt positiv auf die Zinsen Deutschlands auswirken, eine etwaiger Entzug des AAA-Ratings ebensowenig.

Allerdings könnte Brüssel gegenüber Athen auch nachgeben und einem Schuldenmoratorium oder einer Lockerung der Sparvorgaben zustimmen. Griechenland bliebe im Euro, allerdings droht der Eurozone in der Folge ein massives Vertrauensproblem sowie die Gefahr, dass ein derartiges Verhalten Schule macht in Europa. Das Leben auf Pump würde, eventuell leicht gebremst, auch in Madrid, Rom und Paris weitergehen, wodurch abermals lediglich eine Verschiebung der Probleme in die Zukunft stattfände. Der Bonität Kerneuropas und insbesondere Deutschlands würde man damit zudem einen Bärendienst erweisen, weshalb derartige Überlegungen in Berlin nicht ohne Missmut verfolgt werden dürften.

Andererseits hätte eine "Angleichung" der Zinssätze nach oben auch etwas "Gutes": Die Idee der Eurobonds wäre in einer solchen Hochzins-Union wesentlich einfacher umsetzbar. Zumindest in Brüssel dürfte dies für den einen oder anderen Freudensprung sorgen...

Dienstag, 12. Juni 2012

Der 17. Juni – Ein europäischer Schicksalstag

Was passiert am kommenden Sonntag in Griechenland? Nicht nur Europa, die gesamte Welt blickt am 17. Juni gespannt nach Athen.

Da die im Mai abgehaltene Parlamentswahl in Griechenland nicht zu stabilen Verhältnissen und Mehrheiten geführt hat, müssen die griechischen Bürger am kommenden Sonntag erneut an die Wahlurnen treten. Bei diesem Wahlgang dürfte die Syriza-Partei um Alexis Tsipras, der die Austeritäts-Maßnahmen rundheraus ablehnt,  stärkste Kraft werden. Eine Besonderheit im griechischen Wahlsystem, nach der die stärkste Kraft im Parlament 50 Zusatzsitze erhält, dient eigentlich dazu, klare Mehrheiten in dem 300 Sitze umfassenden Hohen Hause zu gewährleisten. Mit der durch den rigiden Sparkurs hervorgerufenen Fragmentierung bzw. Zersplitterung der griechischen Parteienlandschaft droht diese „Mehrheits-Prämie“ jedoch genau das zu verhindern, was eigentlich ermöglicht werden soll: Auch wenn die Syriza-Partei stärkste Kraft werden sollte, ist eine Koalitionsbildung nahezu ausgeschlossen, es sei denn, eine der etablierten Parteien bekennt sich zur Abkehr von eben jenem Sparkurs, den sie in der jüngeren Vergangenheit so glühend verteidigten.

Wenn eine der etablierten Parteien, in Betracht kommt hier nach den jüngsten Umfragen wenn überhaupt die konservative Nea Dimokratia (ND), stärkste Kraft werden sollte, droht dennoch ein politischer Stillstand in Athen, da die ND zusammen mit der sozialdemokratischen Pasok, der zweiten etablierten Partei, beim ersten Urnengang keine tragfähige Mehrheit zusammenbekam und die letzten Ergebnisse der repräsentativen Befragungen kaum Hoffnung darauf machen, dass sich daran etwas ändert. Die beiden Parteien, die noch am ehesten für ein „Weiter wie bisher!“ stehen, können also aller Voraussicht nach keine parlamentarische Mehrheit organisieren und auch die Syriza-Partei wird dies kaum bewerkstelligen können. Selbst wenn es ihr gelingt: Das Ergebnis bliebe das gleiche wie bei dem eben erwähnten Stillstand im politischen Athen, da nicht zu erwarten steht, dass sich die Syriza nach der Wahl um 180° dreht.

Wenn die internationalen Geldgeber auch nur den Funken von Glaubwürdigkeit behalten wollen, den sie ja gerüchteweise noch hier und da haben sollen, müssen die Hilfszahlungen an Griechenland eingestellt werden, sobald sich das griechische Volk dazu entschließt, den Sparkurs nicht länger mitzutragen. Die Folgen sind ein Staatsbankrott, Austritt aus der Währungsunion und Wiedereinführung der (bereits gedruckten) Drachme. „Und dann scheint über Europa wieder die Sonne, oder?“

Leider nicht. Mit dem skizzierten Griechenland-Austritt beginnt der Schlamassel erst. Der Nimbus der Euro-Zone, nach dem ein Land, welches einmal den Euro eingeführt hat, diesen auch bis auf alle Ewigkeit behält, wäre mit dem Ende der griechischen Tragödie gebrochen. Vornehmlich für Investoren jenseits des Atlantiks wäre es folglich lukrativ, darauf zu wetten, dass weitere Länder aus der Währungsunion ausscheiden, wodurch eine selbsterfüllende Prophezeiung eingeleitet wird: Wenn nur genügend Leute mit großen Summen auf den Austritt von Portugal, Spanien oder Italien setzen, so käme dieser auf kurz oder lang auch.

Der kommende Sonntag ist als Schicksalstag des Euro anzusehen, der Wahlausgang in Griechenland wird über nicht weniger als den weiteren Verlauf der europäischen Geschichte entscheiden. Auch deshalb konnte das jüngste „Rettungspaket“, welches dieses Mal für Spanien geschnürt wurde, die Märkte allenfalls für einige Stunden „beruhigen“, wobei hierbei auch die, gemessen an den strukturellen Problemen und der schieren Größe Spaniens, lächerliche Summe von 100 Milliarden Euro reinspielt. Es scheint fast so, als hätten sich die europäischen Politiker in ihrer Telefonkonferenz darauf verständigt, den spanischen Banken für eine weitere Woche der vermeintlichen Ruhe 100 Milliarden Euro in Aussicht zu stellen, um den Griechen nach dem zu erwartenden Wahlergebnis die Schuld für den Zerfall des Euro in die Schuhe schieben zu können.

Die fortwährenden Kontoräumungen in Griechenland, jeden Tag werden bis zu 500 Millionen Euro von den Hellenen abgehoben, können als Blaupause für die künftige Entwicklung in Europa dienen. Der massive Vertrauensverlust der europäischen Bevölkerungen in den Euro und in das Gebilde EU trägt der Tatsache Rechnung, dass der eingeschlagene Kurs von Merkel und Konsorten, die Märkte mit Geld zu fluten und dem Volk immer noch mehr Sparmaßnahmen abzuverlangen, folgende Erkenntnis hervorgebracht hat: Das Europa von heute ist kein Europa der Völker, sondern ein Europa für Banken.

Aber eventuell kommt ja alles auch ganz anders: Die griechischen Wähler könnten sich am Sonntag ja auch dazu entschließen, die Parteien zu wählen, die ihnen seit Jahren immer neue Einsparungen abverlangen und erwarten, dass die Bevölkerung den Gürtel immer noch enger schnallt, auch wenn sie – um im Bild zu bleiben – schon längst keine Hose mehr hat, die mit dem Gürtel festgehalten werden könnte. Die wurde nämlich schon an die Kreditgeber weitergereicht…

Donnerstag, 24. Mai 2012

„Demokratisierung Europas“ heißt Parlamentarisierung der EU


Ich wurde neulich von einem Leser gefragt, wie es denn um die Alternativen der real existierenden Europäischen Union bestellt sei, ob nicht nur die Möglichkeit einer Renationalisierung Europas bestünde. Eine Besinnung auf das Nationale wäre doch der bequemere Weg, oder?

Ja, ich weiß. Dieser Tage nicht auf die EU zu schimpfen, mutet zunächst etwas widersinnig an. Dennoch lohnt es sich, einmal der Wurzel allen Übels innerhalb Europas auf den Grund zu gehen. Ohne sonderliche Anstrengung wird man bei diesen Streifzügen innerhalb der jüngeren Geschichte Europas feststellen, dass das, was in den westlichen Nationen längst der Standard gewesen war, mitnichten innerhalb der EU zur Anwendung gebracht worden wäre.

Ob Staats- oder Regierungschef: Beiden wohnt inne, entweder direkt vom Volk gewählt oder von einem Hohen Hause, dessen Zusammensetzung auf dem Ergebnis der Wahl eines Volkes gründet, abhängig zu sein. Innerhalb der EU findet sich dies nicht. Zwar muss das Europäische Parlament mittlerweile die gesamte Kommission abnicken, dies ist jedoch nicht nur erst seit kurzem der Fall, sondern ohnehin nur ein äußerst stumpfes parlamentarisches Recht. Immerhin wird das Parlament erst im Nachgang befragt, dann, wenn es in den Hinterzimmern in Brüssel und anderswo bereits hochhergegangen ist. In Nationalstaaten jedenfalls werden insbesondere die Chefs einer Regierung, die sich in Europa hinter dem Begriff Kommission versteckt, von einem Parlament gewählt und somit bestimmt.

In einem Nationalstaat wie Deutschland herrscht auch immerhin so etwas wie Gewaltenteilung, wobei diese richtigerweise eher als Gewaltenverschränkung bezeichnet wird, immerhin ist die Exekutive auch Teil der Legislative und umgekehrt. In Europa jedoch gilt es als unumstößliche Tatsache, dass der Kommission, eine Gruppe von nicht-gewählten, durch nichts als dem Willen eines Staatenlenkers legitimierten Personen, in den allermeisten Fällen das Initiativrecht bei den sogenannten Rechtsakten – Gesetze darf man in Europa ja nicht sagen – zukommt. Dieselben Leute, die diese Kommissare mitbestimmen, üben dann im EU-Ministerrat die Rechtssetzung innerhalb Europas aus. Aber, immerhin, das Europäische Parlament darf seit dem Vertrag von Lissabon, der hinsichtlich der Parlamentarisierung Europas als Meilenstein im positiven Sinne angesehen werden muss, mitmachen.

Die Geschichte des Europäischen Parlaments ist die eines demokratischen Feigenblatts. Sie ist auch Zeuge für das Misstrauen der politischen Eliten gegenüber den eigenen Völkern. Auch wenn die Politiker Europas in den letzten Jahren damit beschäftigt waren, den Laden sprichwörtlich zusammenzuhalten und mit immer größeren monetären Feuerlöschern zu hantieren, darf der eigentliche Fehler im politischen System Europas, die als immer noch mangelhaft anzusehende Gestaltungsmöglichkeit des Europäischen Parlaments, nicht außer Acht gelassen werden.
Natürlich, dies ist nicht die Zeit, um über etwaige Reformen zu schwadronieren, Europa ist in der Krise und muss gerettet werden, muss gerettet werden, muss gerettet werden… Es drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass in den vergangenen Jahren nie die Zeit für ernsthafte und beherzte Veränderungen in dem komplizierten Geflecht Europa war.

Statt zu versuchen, europäische Verfassungen zu verabschieden und mit diesen die parlamentarische und somit auch demokratische Leere innerhalb Europas manifestieren zu wollen, ist es an der Zeit, tiefgreifende und längst überfällige Modifikationen am Eliten-Projekt eines geeinten Europas vorzunehmen, eben um die Völker Europas für diese Idee erneut begeistern zu können. Nehmen wir den Ministerrat als Beispiel, ehe wir uns der Kommission zuwenden: In Deutschland wird der Kanzler vom Bundestag gewählt, er ernennt im Anschluss daran seine Minister. Diese müssen nicht im Bundestag sitzen, sie müssen auch keinen Wahlkreis gewonnen haben oder auf einem guten Listenplatz stehen. Sie sind folglich nur durch den Kanzler legitimiert, der Begriff der indirekten Legitimation findet auf die Bundesminister Anwendung. Dieselben Bundesminister, die vom Kanzler indirekt legitimiert wurden, werden auf europäischer Ebene aber mit einer Machtfülle ausgestattet, die es mindestens fragwürdig erscheinen lässt, dass den Notwendigkeiten einer demokratischen Rückkopplung gebührend Rechnung getragen wurde.

Nimmt man sich der Rolle der Kommission an, so wird man schnell feststellen, dass diese Institution aus demokratischer Sicht eine höchst zweifelhafte Position im Gefüge der EU einnimmt. Sie wird gemeinhin als „Regierung der EU“, mindestens aber als „Motor der EU“ bezeichnet. Insbesondere das Initiativrecht führt zu diesen Bezeichnungen. Eine Regierung initiiert Gesetze, die im Anschluss von einem Parlament – in dem diese Regierung eine Mehrheit hat – verabschiedet werden. Die Regierung ist also direkt abhängig von den Parlamentsabgeordneten, die diese tragen: Ohne eine Mehrheit im Parlament gibt es keine Gesetze.

Diesem für eine repräsentative Demokratie konstituierenden Fakt wird auf europäischer Ebene jedoch keine Rechnung getragen: Es gibt keine Regierungskoalition und Opposition im Europäischen Parlament. Stattdessen kommt dem Hohen Haus im Ganzen die Aufgabe zu, die Auswüchse des Ministerrats oder der Kommission im besten Falle abzumildern. Dies ist jedoch nicht die eigentliche Funktion eines Parlaments.

Parlamentarismus im engeren Sinne „(…)setzt über die bloße Existenz eines Parlaments auch seine
gestaltende Kompetenz voraus. Auch in nicht parlamentarisierten Monarchien oder in autoritären Regimen
kann es Parlamente im weiteren Sinne geben. Spielen solche Volksvertretungen aber politisch
keine zentrale Rolle, kann höchstens von einem ‚autoritären‘ oder gar ‚totalitären‘ Parlamentarismus
gesprochen werden.“[1]

Bloße Wahlen zum Parlament oder die Bezeichnung einer Versammlung als Parlament reichen also nicht aus, um den zu Recht hohen Ansprüchen an eine Volksvertretung Genüge zu tun. Was Europa braucht, ist eine Neuordnung seines institutionellen Gefüges. Bei dieser Neuordnung muss das Parlament im Zentrum stehen, von ihm muss zumindest die Kommission abhängig sein, während der Ministerrat im Sinne einer zweiten Kammer installiert werden müsste, auf ähnliche Art und Weise wie der Bundesrat in Deutschland. Dadurch wären die drängenden Probleme von heute natürlich nicht gelöst, wohl aber würde dies dazu führen, dass die demokratischen Defizite, die die EU seit jeher aufweist, abgemildert oder sogar gänzlich aufgelöst werden können. Es ist schlichtweg wesentlich für ein Parlament, dass es Gesetze oder Rechtsakte oder wie auch immer man Gesetze bezeichnen möchte verabschiedet, nach Möglichkeit allein beziehungsweise zusammen mit einer zweiten Kammer.

Dies wird die Befürworter einer Renationalisierung Europas unter den Lesern natürlich nicht erfreuen, im Gegenteil. Und ich kann die Bedenken nachvollziehen, bislang erschien die EU nämlich oft als eine Krake, die sich nationalstaatliche Rechte einverleibt, ohne darauf zu achten, das Demokratische sukzessive auszubauen. Diesem Umstand gilt es Abhilfe zu schaffen. Dazu bedarf es aber nicht zwingend einer Abwicklung der EU, auch wenn dieser klare Schnitt mittlerweile von immer mehr Menschen befürwortet wird. Die Abwicklung der EU ist eine einfache Antwort auf eine schwierige Frage, möglicherweise sprechen sich deshalb immer mehr Menschen für diese Abwicklung aus. Einfache Antworten sind allerdings, wie jeder wissen müsste, meistens nicht die optimalen, geschweige denn die einzig richtigen. „Wir müssen mehr Parlamentarismus in Europa wagen“ ist zwar eine kurze, mitnichten jedoch eine einfache Antwort auf die Frage, wie die EU in Zukunft fortbestehen soll. Den Willen zu dieser Parlamentarisierung dürften wohl die wenigsten Technokraten in Brüssel haben, folglich muss ihnen dieser von den Völkern in demokratischen Wahlen aufgezwungen werden.

1: Nohlen, Dieter, Lexikon der Politikwissenschaft Band 2 N-Z, Verlag C.H. Beck, München, 2005, Seite 652



Donnerstag, 17. Mai 2012

WiSoPol @TheIntelligence.de: Norbert Röttgen - Das Bauernopfer der Kanzlerin

Der einstige Bundesumweltminister Norbert Röttgen ist von Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) entlassen worden. Ihm folgt nun der christdemokratische Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Peter Altmaier nach. Was auf den ersten Blick aussieht wie die logische Konsequenz des Wahldebakels in NRW, ist bei genauerer Betrachtung nicht mehr als ein mäßig gelungenes Ablenkmanöver unserer Kanzlerin.

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Donnerstag, 12. April 2012

WiSoPol @theintelligence.de

Der Durchbruch schien geglückt. Mit der billionenschweren Flutung der Märkte durch die Europäische Zentralbank (EZB) widmeten sich die Medien und die Bürger wieder den wirklich wichtigen Dingen im Leben. Nun jedoch entpuppt sich der vermeintliche EZB-Coup ebenso als Rohrkrepierer wie die vorherigen unbeholfenen Rettungsaktionen.

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Dienstag, 27. März 2012

Das Merkelsche Gesetz

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich festgelegt, CSU-Chef Horst Seehofer zog rote Linien: Der deutsche Haftungsrahmen für die Rettung der Banken der Euro-Zone solle 211 Milliarden Euro nicht überschreiten, das Volumen des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht erhöht werden. Mit einer kreativen Lösung können beide nun ihr zuvor Zugesagtes umgehen.

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Montag, 19. März 2012

US-Armut: Mitternachtsshopping einmal anders

Die grassierende Armut in den USA treibt traurige Stilblüten: Mittlerweile bekommt der Begriff des Mitternachtshoppings eine völlig neue Bedeutung. Pünktlich zum ersten Tag eines jeden Monats erhalten die über 46,5 Millionen US-Bürger, die vom Lebensmittelmarken-Programm abhängig sind, ihre staatliche Unterstützung.

Einzelhandelskonzerne wie etwa Walmart rüsten sich für diesen Großkampftag. "Wir haben mehr Personal an diesem Tag und achten darauf, dass alle Kassen besetzt sind. Einige Leute denken vielleicht, dass es in einem Walmart um 0.01 Uhr ruhig zugeht, aber in vielen unserer Geschäfte beginnt um 0.01 Uhr ein großer Tag oder viel eher eine große Nacht für uns", sagte Carol Johnston, Vizepräsidentin von Walmart.



Nun könnte man ja annehmen, dass sich die US-Bürger in Zeiten der Krise auf die Schnäppchenjägerei verlegen und die Läden deshalb in der Nacht stürmen, weil es zu dieser nachtschlafenden Zeit besonders günstige Angebote gibt. Die Realität sieht indes so aus, dass die Menschen am ersten des Monats die Läden stürmen, weil ihre Kühlschränke leer sind. Sie wollen nicht sparen, sie wollen etwas essen.

In der Nacht gehen die Leute nur deshalb einkaufen, um dem Trubel am Tag zu entgehen. Ein US-Bürger beschreibt die Szenerie, die sich am ersten des Monats bei den Lebensmitteldiscountern bietet, als eine "Art Super Bowl für Lebensmittelgeschäte".

Wie reich kann ein Land sein, welches sich derartig viele hungrige Menschen leistet?

Danke an querschuesse.de für die Grafik!

Quelle

Sonntag, 18. März 2012

Was für ein Sonntag!

Joachim Gauck ist der elfte Bundespräsident Deutschlands. Die etablierten Parteien hatten sich bereits im Vorfeld auf Gauck verständigt, insofern ist seine Wahl nicht allzu überraschend gekommen. Was können, was dürfen wir von unserem neuen Staatsoberhaupt erwarten?

Der 72-jährige ehemalige Pastor kennt – so könnte man angesichts seiner bisherigen Einlassungen vermuten – eigentlich nur ein Thema: die Freiheit. Natürlich ist diese das Fundament, die tragende Wand der Demokratie. Und doch gehört mehr zu ihr als die bloße Freiheit. Gauck müsste also zunächst sein Themenspektrum erweitern, um nicht als der Bundes-Opa, der sein einziges Thema gebetsmühlenartig wiederholt, gesehen zu werden. Die drängenden Fragen unserer Zeit, die ungelösten Probleme in der Euro-Zone, der schwelende Konflikt zwischen Israel und dem Iran und viele andere lassen sich jedenfalls nicht allein mit freiheitlicher Rhetorik beantworten.

Immerhin hat die Bundesrepublik mit ihrem neuen Oberhaupt Gauck keinen Präsidenten von Merkels Gnaden. Dennoch steht eher nicht zu vermuten, dass er den Kurs der Bundeskanzlerin entscheidend wird beeinflussen können, dazu fehlen ihm schlicht die Kompetenzen. Bei all dem Brimborium, welches in den vergangenen Wochen und Monaten um das Amt des Bundespräsidenten gemacht wurde, darf man nicht vergessen, dass dieses ein vergleichsweise unwichtiges ist, zumindest was die Tagespolitik betrifft. Man sollte aus diesem Grunde nicht erwarten, dass Gauck ein Präsident sein wird, der sich „einmischt“. Natürlich wird er Reden halten, die mit allerlei rhetorischen Finessen gespickt sein werden, hier und da auch mal ins kitschige, weil überbordend pathetische abgleiten werden. Doch muss die Begrenzung der Macht der Worte berücksichtigt werden. 

Gauck ist kein Heilsbringer, geschweige denn ein Heiliger. Die Forderungen, die nun auf Gauck einprasseln, sind größtenteils nicht zu erfüllen. Er soll die Menschen für die Politik begeistern, er soll den ramponierten Ruf der Politiker-Klasse wieder aufpolieren und so fort. Alles Dinge, die die im Bundestag aktiven Politiker selbst regeln müssten. Stattdessen versuchen sie, diese Aufgaben auf das präsidiale Verfassungsorgan auszulagern, so wie sie sich bei strittigen Gesetzen vom Verfassungsgericht erklären lassen, was eigentlich rechtens ist und was nicht.

Unser neuer Bundespräsident hat, wie so viele andere, keine weiße Weste. Seine angebliche Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das Ministerium der Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR zeigt, dass Gauck alias IM Larve eben nicht der Einäugige unter den Blinden sein wird, zumindest wenn die Beschuldigungen zutreffen sollten. Würden sie stimmen, könnte man sich auch vorstellen, was Merkel gegen einen Bundespräsidenten Gauck einzuwenden hatte. Böse Zungen rücken schließlich auch unsere Kanzlerin in die Nähe der Stasi. Dabei muss sich Angela Merkel beziehungsweise IM Erika vor Gauck gar nicht fürchten, eine Krähe würde der anderen schließlich kein Auge aushacken.

Wie unbequem unser neuer Präsident tatsächlich werden wird, kann nur die Zeit zeigen. Ebenso wie von Christian Wulff (CDU) darf von Gauck nicht erwartet werden, in Fundamentalopposition zum Regierungskurs  zu stehen. Allen Hoffnungen zum Trotz wird er unter den Gesetzen, die eine weitere Kompetenzübertragung nach Brüssel einleiten, seine Unterschrift setzen. Was von Gauck allerdings erwartet werden kann, ist, dass er seine repräsentative Funktion möglichst geräuschlos wahrnehmen wird. Natürlich kann und soll er sich einmischen, nur eben nicht bei den Themen, die von Bedeutung sind.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass sich Gauck nicht als ein Mensch entlarvt, der außer seiner stolz vor sich hergetragenen Eitelkeit und warmen Worten nicht viel zu bieten hat. Dass er sich nicht nur als Gaukler präsentiert, ist zwar zu hoffen, jedoch nicht zu erwarten.

Montag, 16. Januar 2012

WiSoPol @theintelligence.de

Durch die Herabstufungsorgie von Standard & Poor's (S&P) rückt das Schuldendilemma der Eurozone erneut in den Fokus der medialen Betrachtung, während die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen in den USA ein Schattendasein in der Berichterstattung fristen. Diesem Umstand gilt es Abhilfe zu schaffen.

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Samstag, 14. Januar 2012

WiSoPol @theintelligence.de

Seit Monaten geisterte er durch die Finanzwelt, nun ist er da: Der Verlust der Top-Bonität Frankreichs könnte zum Sargnagel der Euro-Rettung avancieren, immerhin ist die Staatsschuldenkrise nun auch für die Öffentlichkeit sichtbar in Kern-Europa angekommen. Die Konsequenzen daraus und warum die europäischen Rettungsbemühungen dennoch weitergehen werden, soll im Folgenden geklärt werden.

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Donnerstag, 12. Januar 2012

WiSoPol @theintelligence.de

Über unseren Bundespräsidenten Christian Wulff wurde in den vergangenen Tagen so viel geschrieben, dass man schon mal den Überblick verlieren und sich in fragwürdige Argumentationsketten verheddern kann. So ist es denn auch nicht verwunderlich, wenn einige Menschen hinter der Demontage unseres Staatsoberhaupts eine Verschwörung wittern und Wulff zum letzten aufrechten Demokraten stilisieren. Mit diesem Blick durch die rosarote Brille soll an dieser Stelle aufgeräumt werden.

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Donnerstag, 5. Januar 2012

Ein Wulff im Schafspelz

Christian Wulff hängt an Amt und Würde. Letztere hat er mit seinem am gestrigen Mittwoch dargebotenen Schauspiel in den öffentlich-rechtlichen Sendern auf einen neuen Tiefpunkt katapultiert. Mit treuherzigem Augenaufschlag versicherte unser Staatsoberhaupt, er habe die Berichterstattung nicht unterbinden, sondern lediglich um einen Tag verschieben wollen. Des Deutschen liebstes Boulevard-Blatt sieht die Sache hingegen anders und versuchte, eine Genehmigung für die Veröffentlichung des Transkripts der Mailbox-Nachricht von Wulff zu bekommen. Dieser lehnte ab und liefert damit erneut den Stoff, aus dem die Kommentarseiten der Zeitungen bestehen.

Es trieb mir die Schamesröte ins Gesicht, als ich unseren Bundespräsidenten in der ARD und dem ZDF gestern sah. Da saß kein Staatsoberhaupt, der dem TV-Volk in jovialem Ton die "langen Linien" seiner Politik, die weltpolitische Lage oder seine Bedenken hinsichtlich eines seiner Meinung nach nicht verfassungskonformen Gesetzes erklärt. Dort saß ein Mann, der zu retten versuchte, was längst nicht mehr zu retten ist. Ein Mann, der sich fortwährend die Wahrheit zurechtbiegt wie es ihm beliebt, einem Monarchen ähnlicher als dem Staatsoberhaupt eines demokratischen Landes.

Unsere Bundespräsidenten sind per se zahnlos und nicht mit politischen Klauen ausgestattet, was gute und nachvollziehbare Gründe hat. Sie empfangen Gäste, halten Reden und unterschreiben Gesetze, so diese verfassungskonform sind. Die in der deutschen Geschichte beispiellosen Vorgänge um unseren amtierenden Bundespräsidenten Wulff zeigen uns, dass die politische Klasse durchsetzt ist von Menschen, für die Urlaube bei Freunden wichtiger sind als die eigene Glaubwürdigkeit und Reputation im Volk. Menschen, die durch affektierte Menschlichkeit versuchen, den Souverän hinters Licht zu führen, ihn einzulullen und damit die Fähigkeit des Denkens bei diesem Souverän in Frage stellen.

Wulff sah keine Notwendigkeit dafür, in der Bundespressekonferenz vor allen Vertretern der Presse Rede und Antwort zu stehen. Viel lieber wollte er zur allerbesten Sendezeit in der ARD und dem ZDF Fragen beantworten, was die Frage aufwirft, wen er eigentlich zu erreichen versuchte. Er hätte nicht das Volk um Gnade anflehen müssen, sondern diejenigen, deren Freiheiten er offenbar zu beschränken versuchte. Aber zwei Journalisten sind bequemer als 200, auch das ist nachvollziehbar...

Der klägliche Versuch Wulffs, dem deutsche Volk die Hand zu reichen und sich zu entschuldigen, wurde mit der Aussage torpediert, dass er ja gar keine Absicht gehabt habe, die Berichterstattung zu seinem "umstrittenen Privatkredit" zu unterbinden. Damit hat er wahrscheinlich sogar recht. Wulff ging es bei diesem Anruf möglicherweise - und hiermit betreten wir für einige Zeilen den Bereich der Spekulation - eher darum, unliebsame Berichte über die Vergangenheit seiner Frau zu unterbinden. Von einer großen emotionalen Anspannung sprach der erste Mann im Staat, davon, dass er seine Familie zu schützen versucht habe. Wulff selbst konnte es sich denn auch nicht verkneifen, Öl ins Feuer der im Internet kursierenden Gerüchte über seine Bettina zu gießen, die er ohne Not und ohne das danach gefragt worden wäre als "Fantasien" bezeichnete, während sich Journalisten allerorts auf die Lippen beißen müssen, wollen sie doch nicht das Amt des Bundespräsidenten beschädigen.

Hat Wulff gestern die Wahrheit erneut gebogen, als er sagte, er wollte die Berichterstattung nicht verhindern? Das wissen nur die mit dem Fall betrauten Personen. Das allerdings wenige Stunden nach dem Interview seitens der Bild-Zeitung Wulffs Aussage zurückgewiesen wird, lässt tief blicken. Der offene Brief vom Chefredakteur des Blatts, Kai Diekmann, deutet an, wie sicher man sich seiner Sache bei Springer ist. Wulff hingegen verkriecht sich hinter wachsweichen Äußerungen, beispielsweise jener, dass er nicht nachvollziehen könne, weshalb die Zeitung nicht noch einen weiteren Tag hätte warten können mit den Berichten, die Vorgänge lägen ja zum Teil schon Jahrzehnte zurück.

Herr Wulff, falls es Ihnen noch nicht ganz klar sein sollte: Sie haben sich überhaupt nicht dafür zu interessieren, was welche Zeitung wann schreibt oder nicht schreibt. Es ist nicht ihre Aufgabe, Zeitungsberichte nachzuvollziehen. Wenn Fragen an Sie gerichtet werden, so können Sie diese beantworten. Sollten Sie dazu - aus was für Gründen auch immer - nicht in der Lage sein, kann das nicht bedeuten, dass die Zeitungen die Berichte zurückhalten, warum auch? Sie sind der Repräsentant unseres Landes und unser Staatsoberhaupt, Sie müssen mit schlechter Presse umzugehen wissen, immerhin sind Sie ja nicht erst seit Ihrer Präsidentschaft dem politischen Betrieb verhaftet. Darüber hinaus leben Sie in einem Land, welches auf dem Papier vorgibt eine Demokratie zu sein. Sie als Hüter dieser Staatsform sollten sich mit den elementaren Grundzügen der Demokratie in einem Maße auskennen, das, wenn schon nicht einzigartig, so doch zumindest selten sein sollte.

Herr Präsident, Sie haben ihr Versprechen, für Transparenz hinsichtlich Ihres Privatkredits zu sorgen, gebrochen. Die Ablehnung bezüglich der Veröffentlichung Ihrer Mailbox-Ansprache, in der es Ihnen ja um Ihren Hauskredit gegangen sein will, verdeutlicht dies. Ihr Verhalten in dieser Affäre war nicht deckungsgleich mit Ihrem Amtsverständnis, wie sie gestern ausführten. Damit haben Sie recht. Ziehen Sie die Konsequenz, ehe es Frau Merkel für Sie tut, auch wenn sie gerade besseres zu tun hätte, als einen neuen Bundespräsidenten zu finden, der seinen eigenen Ansprüchen und denen des Volks gerecht wird.